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Blutrünstige Bestie attackiert Weltreisende (25)

Pilar

geschrieben von Franzi

So zumindest würde die Bild unseren Tag betiteln, an dem es das erste mal richtig was zu Knabbern gab. Aber fangen wir von vorne an.


Nach er Vogel-Expedition kümmerten wir uns zunächst um etwas Haushalt, duschten, räumten auf, sortierten ein paar Dinge neu und ließen unsere dreckigen Klamotten waschen.

Mir ging es in der Nacht aufgrund der Hitze nicht so gut, weswegen ich danach noch etwas die Augen zumachte, während Timo begann, die ausstehenden Blogbeiträge der letzten Tage aufzuarbeiten.


Danach machten wir uns auf den Weg in die Stadt, um ein paar Besorgungen zu erledigen. Unter Anderem kauften wir für Timo einen sehr günstigen Sonnenhut (4€!), sodass ich meine Cappy endlich wieder für mich habe! Dabei haben wir uns sehr gut mit dem Verkaufsteam unterhalten. Wie fast alle haben sie sich sehr gefreut, dass wir uns für Paraguay interessieren und dass wir mit unserem Spanisch so bemüht sind. Am Ende haben sie uns sogar einen Teil des eh schon sehr günstigen Preises erlassen, weil sie uns so nett fanden! Obwohl unser Platz für Gepäck sehr begrenzt ist, konnte wir auch an einem sehr hübschen Oberteil für mich einfach nicht vorbeigehen, sodass ich zusätzlich zu meinem Kleid, nun auch ein T-Shirt besitze, mit dem man auch etwas netter ausgehen kann.


Der anschließende Fahrkarten-Kauf für unsere Weiterreise nach Encarnación am Donnerstag stellte uns vor eine kleine Herausforderung. Leider hatten wir beide unsere Reisepässe nicht dabei, die man aber vorzeigen muss, wenn man sich ein Überland-Ticket besorgt. Dome und Charlie hatten uns bereits geraten, die Passnummern auswendig zu lernen, doch bisher brauchten wir sie nicht ausreichend oft, dass sich die Mühe gelohnt hätte. Das sollte sich heute ändern.


Da ich bei jeder noch so kleinen Flunkerei bekanntlich nicht besonders gut bin, übernahm Timo an der Stelle das Ruder. Er schrieb unsere Namen selbst auf die Fahrkarten, worüber der Verkäufer sich sogar freute, da er sich so mit den fremdländischen Namen nicht herumschlagen musste, und trug bei der Passnummer wie selbstverständlich jeweils eine beliebige achtstellige Zahlen- und Buchstabenkombination ein. (Die Passnummern haben übrigens neun Stellen, wie wir später feststellten 😅) Bisher wurden unsere Pässe beim Einsteigen nicht kontrolliert, hoffentlich bleibt das so...

Die Bezahlung gestaltete sich etwas holprig. Zunächst versuchten wir mit Karte zu zahlen. Der Verkäufer tippte den Betrag ein, schob die Karte in den Schlitz, Timo gab den PIN ein, doch das Gerät spuckte keinen Beleg aus. Der Herr meinte, die Bezahlung habe nicht funktioniert und fingerte eine ganze Weile weiter an den Tasten herum, bis wir einlenkten und Barzahlung vorschlugen, was er freudig annahm.

Inzwischen haben wir in unserer Kreditkartenabrechnung leider eine kontaktlose Abbuchung genau in der Höhe des Fahrpreises von einer Tankstelle direkt neben dem Busterminal entdeckt. Und gleich dazu einen Tankbonus in Höhe von 1% des Gesantbetrages. Zum Glück geht es nur um knapp 14€, aber wir haben uns trotzdem damit an das Kreditinstitut gewandt. Wir gehen davon aus, dass nur etwas mit der Zahlung nicht funktioniert hat und dass keine Böswilligkeit dahinter steckt. Hoffentlich werden wir recht behalten.


Nach dem Fahrkartenkauf gönnten wir uns ein Taxi zum Strand, um den Abend noch mit 1-2 Stunden im angenehm warmen und doch erfrischenden Seitenarm des Rio Paraguay ausklingen zu lassen, vielleicht auf dem Rückweg noch ein leckeres Eis zu essen und anschließend in einem all-you-can-eat-Pizza-Restaurant einzukehren. Doch der Abend verlief anders als geplant.


Nachdem wir unsere Picknickdecke ausgebreitet hatten, liefen wir direkt ins Wasser, in dem trotz der allmählich untergehenden Sonne noch einige Familien badeten. Wir setzten uns am Rande des Flusses auf den sandigen bis schlammigen Boden und ließen die Beine baumeln. Sehr weit hinein hatten wir uns auch gestern nicht getraut, da wir bei unbekannten Gewässern eine gesunde Skepsis an den Tag legen. Insbesondere da man im sehr trüben Wasser seine eigenen Füße nicht sehen konnte und man ja nie weiß, was an Tieren oder Schlingpflanzen unter der Oberfläche lauert. Da aber einige Einheimische sehr weit im Wasser waren, traute ich mir gestern auch ein paar Schwimmzüge zu und ließ mich in Ufernähe ganz entspannt etwas treiben.


Darauf freute ich mich auch heute wieder sehr, doch da Timo sich lieber am Rand aufhält und gestern schon zwar eher scherzhaft, aber nicht ohne jede Angst über einen möglichen Angriff eines Kaimans gesprochen hatte, blieb ich mit ihm in Ufernähe. Wir sprachen über den schönen Tag, den wir verbracht hatten und genossen die Abkühlung. Timo hatte die Füße angewinkelt, während ich sie entspannt in die sanfte Strömung hielt. Plötzlich spürte ich scharfe kleine Zähne in meinem Fuß!  "Ein Kaiman!", schoss es mir durch den Kopf! Ich erinnere mich nicht, aber Timo meint, ich hätte laut aufgeschrien. "Mich hat was gebissen", brüllte ich - daran erinnere ich mich deutlich! - "Schnell raus!"


Timo, der die Vorstellung eines Kaimans im Wasser nun wohl doch für reichlich übertrieben hielt, reagierte eher gelassen, stand allmählich auf und folgte mir entspannt, während ich aus dem Wasser sprintete. Die Verletzung fühlte sich klein an, umso verwunderter nahm ich das Blut rund um meinen großen Zeh wahr. Endlich nahm auch Timo mich ernst. Er machte große Augen und war nicht mehr ganz so entspannt. Ich humpelte zum Handtuch, um keinen Sand in die Wunde zu bekommen. Schnell bildete sich eine Menschentraube um mich. Alle wollten die Wunde sehen! Eine Mutter rief ihre Kinder aus dem Wasser und erklärte uns, dass es sich um Piranhas handelte, die im Fluss lebten. Ihr Schwager sei heute auch schon gebissen worden, gestern habe eine Frau sogar eine ganze Fingerkuppe verloren! Sie hätte auch überlegt uns zu warnen, dachte aber, wir würden ihre Sprache eh nicht verstehen. Ich konnte diese Aussage kaum fassen, schluckte meinen Ärger aber runter und konzentrierte mich darauf, zu retten, was zu retten war. Timo wühlte hektisch in unserem Daypack, in der Hoffnung, etwas Nützliches zu finden. Da wir ja aber nur etwas Spazieren und Baden wollten, war kaum etwas Hilfteiches dabei. Kein Erste-Hilfe-Set, kein Desinfektionsmittel außer Sagrotan und Handdesinfektionsmittel, was ich mir beides nicht auf die Wunde schmieren wollte. Wir hatten nicht einmal ein Taschentuch oder Klopapier um das Blut abzuwischen. Die Mutter, die meinte, uns nicht auf die Gefahr hinweisen zu müssen, erwies sich wenigstens jetzt als hilfsbereit. Doch alles, was sie fand, war etwas Watte. Um nicht zu ablehnend zu wirken, nutzte ich die Watte, um den Fuß vom Blut zu säubern, vermied aber, dass die kleinen Fasern in die Wunde kamen. Zumindest ergab sich dadurch ein etwas beruhigenderes Bild: Der Piranha hatte einmal ordentlich in den großen Zeh gebissen, der erstmal stark geblutet hatte, was aber eher an den vielen Blutgefäßen dort lag und glücklicherweise nicht daran, dass die Wunde besonders groß war. Die Zähne des Tieres müssen sehr klein gewesen sein, sodass die Bisstelle sich fast von alleine schon wieder zu schließen begann. Es sah ein bisschen so aus, als sei man in eine kleine Scherbe getreten. Ich beruhigte mich weiter und dachte über das Angebot der Umstehenden nach, mich ins Krankenhaus zu fahren. Einerseits kam mir das inzwischen sehr übertrieben vor, andererseits wussten die Einheimischen wahrscheinlich sehr viel besser, wie mit einem solchen Vorfall umzugehen war. Doch auch sie schienen sich in ihrer Meinung unsicher. Ich blickte den Strand runter, wunderte mich, warum weiterhin viele Menschen, vor allem Kinder, in dem Fluss badeten und dachte über meine Optionen nach, als ich plötzlich laut aufschrie. Ein streunender Hund hatte mich hinterrücks an der Hand geleckt. Er wollte offensichtlich nichts Böses, hatte mich aber extrem erschreckt, da ich ihn nicht kommen sah. Ich war heilfroh, dass er nur an meiner Hand und nicht an meiner Wunde geleckt hatte! Da inzwischen auch Fliegen begannen, sich für meinen Zeh zu interesssieren, war klar, dass wir jetzt los mussten - egal ob ins Krankenhaus oder ins Hostel.


Timo scheint übrigens nicht nur beim Schreiben an sporadischer Legasthenie zu leiden, sondern auch mündlich. Während ich versuchte, zu erfragen, ob so ein Piranha-Biss gefährlich sei bzgl. möglicher Infektionen oder Ähnlichem, erkundigte sich Timo nach den Folgen eines Caipirinha-Bisses!


Da verlagerte sich plötzlich der Fokus der Situation. Die Menschentraube, die mich weiterhin umgeben hatte, zog weiter und scharrte sich nun um einen Junge von etwa 10 Jahren. Sein Fuß war rot vor Blut. Ein Piranha hatte ihm ein kleines Stück Fleisch aus dem Fuß gebissen! Das war für die Schaulustigen natürlich viel spannender. Sie umringten ihn und luden auch Timo ein, näher zu treten, um sich den Fuß anzusehen. Jemand kam mit einem Smartphone und zeigte mir ein Foto, da ich ja nicht selbst hingehen konnte. Der Junge ließ alles über sich ergehen. Er sagte nichts, er weinte nicht, er schrie nicht. Ich überlegte, ob er unter Schock stünde. Doch abgesehen von seinem blutenden Fuß wirkte er recht munter.


Der Schwager, der ebenfalls gebissen worden war, entschied, den Jungen ins Krankenhaus zu bringen. Mir war inzwischen klar, welches Glück ich gehabt hatte und dass der Schreck wahrscheinlich schlimmer als die eigentliche Verletzung war. Aber da ich mit offenen Sandalen am Strand stand und nicht wusste, wie ich den Fuß sauber nach Hause kriegen sollte, beschlossen wir, mit den Beiden ins Krankenhaus zu fahren, damit die Wunde wenigstens angemessen gereingt werden konnte.


So schaulustig die Leute waren, so hilfsbereit waren sie. Eilig halfen sie, unsere Siebensachen einzupacken, jemand legte auf der Rückbank Tüten und Handtücher aus, da wir immernoch sehr nass waren und los ging's! Nach nur wenigen Metern kamen uns die Eltern des Jungen entgegen, die offenbar mit den Geschwistern nachkommen wollten. Sie bedeuten, dass wir weiterfahren sollten, sie kämen nach. Für unser Verständnis reagierten die Eltern viel zu gelassen. Ob so ein Piranhabiss hier vielleicht wirklich nichts Außergewöhnliches ist? Vergleichbar mit einem Wespenstich oder einer Scherbe im Fuß? Nicht angenehm, aber halt auch nicht dramatisch?


Im Krankenhaus angekommen wurde ich zum zweiten Mal an diesem Tag nach meinem Reisepass gefragt. Das war der Moment, an dem wir beschlossen, uns die Nummern zu merken und Kopien nicht nur auf dem Laptop, sondern auch auf den Handys mitzuführen.


Ich versuchte zu erklären, dass ich kein einziges Dokument bei mir hatte, während die Frau im Kittel versuchte zu erklären, dass ich ohne Ausweis kein Antibiotikum bekommen könne. Die Diskussion war etwas mühsam, aber ich machte ihr erfolgreich klar, dass ich eh lieber kein Antibiotikum möchte, sondern der Fuß nur gereinigt und verbunden werden sollte. Fragend schaute ich mich nach dem Schwager um. Er nickte und meinte, es sei alles halb so wild und er würde auch auf keinen Fall Antibiotikum wegen soetwas nehmen. Auch die Frau im Kittel nickte, meinte, es sei eh nur zur Prophylaxe und nicht zwingend erforderlich, nahm ihre Handtasche und ging. Verwirrt blieben wir zurück. Offensichtlich hatte sie Feierabend. Unsicher, ob ich nun behandelt würde oder nicht, setzte ich mich auf eine Liege, auf der schon andere Patienten vor mir gewartet hatten. Kurz darauf wurde ich hinter den Behandlungsvorhang gerufen. Ob ich die Mutter des 10-Jährigen sei, wollten sie wissen. Ich war so erstaunt, ich konnte kaum verneinen. Normalerweise werde ich eher gefragt, ob ich die kleine Schwester sei. Da kam zum Glück der Vater des Jugen an, um während der Behandlung seine Hand zu halten.


Kurz darauf wurde auch mein Fuß desinfiziert und gereinigt von einem Mann, dessen Hände so riesig waren, dass einer seiner Gummiehandschuhe platzte! Er fasste mich aber nur mit dem bedeckten Teil der Hand an und auch sonst verfolgte ich aufmerksam, dass alles angemessen steril vonstatten ging. Trotz der provisorisch aussehenden Räumlichkeiten verlief hier alles zu meiner vollsten Zufriedenheit!


Nachdem mein Zeh gut gegen Dreck geschützt eingepackt war, kam ein Mann mit einem Klemmbrett und bat mich, meinen Namen zu notieren und meine Passnummer. Ich schrieb artig meinen Namen auf das Formular und begann unsicher von Neuem zu erklären, dass ich meine Passnummer nicht wisse. Da kam ein anderer Mann mit einem anderen Klemmbrett und meinte, es sei alles gut. Ich müsse nur noch mein Alter aufschreiben, das er mir sogar diktierte, den Rest habe er schon. Erleichtert sah ich Timo hinter dem Vorhang grinsen. Er habe sich schon was für mich ausgedacht, ließ er mich wissen.


Wir warteten dann noch auf den Schwager, der sich inzwischen als Hugo vorgestellt hatte. Denn da wir nun schon vor Ort waren, ließ auch er sich kurz verarzten, obwohl er das alles eher als Lapalie sah. Ohne etwas zu bezahlen und ohne ein Dokument vorzeigen zu müssen verließen wir mit Hugo gut versorgt das Krankenhaus. Hut ab vor dem paraguayanischen Gesundheitssystem! Das wäre in Deutschland sicher nicht möglich gewesen.


Hugo fuhr uns noch zurück ins Hostel, wo sich die Dame, die uns den Badeort empfohlen hatte, bestürzt und wortreich bei uns entschuldigte.


Nachdem wir den Schockmoment überwunden hatten, konnten wir schließlich auf dem Weg zum all-you-can-eat-Pizza-Restaurant schon über den Vorfall lachen. Nur der Junge tat uns leid und die Dame vom Vortag. Die beiden werden sicherlich noch länger etwas von der Wunde haben als ich. Timo las während des Essens den ganzen Wikipedia-Artikel zu Piranhas vor und versuchte die Art zu klassifizieren, die versucht hatte, meinen Zeh zu verspeisen. Seiner Analyse zufolge musste es sich um den Pygocentrus nattereri handeln. Vielleicht aber auch um den Serrasalmus maculatus oder den Serrasalmus marginatus. Abgesehen von der präzisen Gattungsanalyse sind wir nun auf jeden Fall Experten in dem Bereich und verbuchen die Geschichte als spannendes und lehrreiches Abenteuer!

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