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Und wir wurden doch nicht überfallen

Buenos Aires

Geschrieben von Timo

La Boca war schon vor Beginn der Weltreise der Inbegriff meiner Südamerika Phobie der barbarischen Zustände, in denen man permanent um Leib und Gut fürchten muss. Das Hafenviertel, in dem die größtenteils Italienischen Migranten in der Vergangenheit eine Unterkunft fanden, wirkt bunt und lebensfroh in erster Linie, da viele Hafenarbeiter damals in Naturalien wie Farbe bezahlt wurden, mit denen sie ihre selbst errichteten Wellblechhütten bestrichen. Heute ist das Viertel immer noch vor allem von armen Argentiniern bewohnt- wer will heute auch in einer Wellblechhütte oder einfachen Häusern wohnen? Für die Fußballspiele habe ich einen Nachbarschaftsguide für Buenos Aires im Internet gefunden, der die Gefährlichkeit eines Quartiers bei Tag und Nacht bewertet. Für La Boca gilt, dass man tagsüber entspannt durch die Straßen gehen kann (2 von 10 Gefährlichkeit), nachts sollte man das aber unterlassen (8 von 10). 

 

Deutlich entspannter als vor Beginn unserer Südamerikareise, aber mit der Absicht nicht bis nach Sonnenuntergang im Viertel zu bleiben, nahmen wir einen Bus gen Süden. Der Weg nach La Boca ist nicht weit. Es gehört noch zum inneren Stadtzentrum- Capital Federal- und liegt gerade südlich von San Telmo. Bedacht darauf durch nicht zu viele Nebenstraßen zu streifen, stiegen wir in der Nähe vom Caminito, einem kleinen Weg, der den berühmtesten Flecken des Stadtteils darstellt, aus. Schon auf dem Weg dorthin entdeckten wir die ersten bunten Häuserwände und viele Graffitis oft mit Anti-Gewalt Darstellungen. Angekommen an der zweiten Kreuzung fühlten wir uns aber endgültig sicher, denn hier wimmelte es nur so von Touristen. Für einen guten Preis nahmen wir uns zwei frisch gepresste Orangensäfte und setzten uns vor den Wagen , in dem wir sie gekauft hatten an den Straßenrand und beobachten das Treiben auf der kleinen Kreuzung, die in der Hand der Fußgänger nicht in der Hand der Autofahrer war. Gegenüber waren an beiden Straßenecken Touristenshops vor denen ein Päarchen in schicker Tango Montur poste und die Touristen ansprach, ob sie denn mal für ein Erinnerungsstandbild ihre Tango Künste am jeweils anderen Geschlecht mit den scheinbaren Profis präsentieren wollten- für den ein oder anderen Groschen natürlich. Einige Touristen willigten ein und bekamen ihr Foto mit schicker Dame im Arm vor dem bunten Haus an der Kreuzung. Ebenfalls entdeckt hatten wir bereits einige Fußballer, die zufälligerweise auch gerade vor dem Touristenladen auf der anderen Seite der Straße abhingen. Es handelte sich um Messi, Maradona, Tevéz und Palermo, die dort als Figuren abgestellt waren- alle im Boca Trainingsanzug versteht sich. Wir sollten ihnen noch häufiger begegnen. Skurill ist natürlich, dass Messi nie etwas mit den Boca Juniors, dem lokalen Verein und gleichzeitig gerade gekürtem Meister von Argentinien, zu tun gehabt hatte, sondern im zarten Alter von 13 Jahren direkt aus seiner Heimatstadt Rosario zu Barça gewechselt war. Trotzdem zählt er als bester Fußballer der Welt natürlich zum Fußballpathos der Argentinier auch in La Boca hinzu. Spannend war auch ein Touristenbus, der auf der engen, menschenbelebten Kreuzung ein Wendemanöver erfolgreich vollzog. Das führte Franzi nochmal anschaulich vor Augen welchen Job sie niemals ausführen möchte. Nachdem der O-Saft ausgeschlürft war, zogen wir einen Block weiter. In der sehr bunten Gasse verbrachten wir einige Zeit. Zunächst entdeckten wir den nächsten Messi auf einem Balkon über uns- diesmal im Albiceleste Jersey. Auf der anderen Seite der Gasse waren inzwischen die beiden Tango Schausteller angelangt und performten vor einigem Publikum diesmal zu zweit einen Tanz zur Musik. Wir schauten etwas zu, ich versuchte das unauffällig zu tun, da ich nicht die Absicht hatte Geld in den im Anschluss an den Tanz herumgehenden Hut zu werfen. Direkt hinter uns war eine Skulptur von Benito Quinquela Martín, einem Maler, der mit buntem Pinsel viele Bilder vom Hafenviertel und seinen Arbeitern in der Vergangenheit erstellt hatte. Sein Museum ist direkt um die Ecke durch einen kleinen Markt hindurch. Wir gingen wie geplant dorthin, nicht ohne Schwierigkeiten den genauen Ort zu finden. An der Stelle, an der das Museum sein soll, war eine bunt bemalte Schule. Wir gingen hin und stellten fest, dass ein Gemälde des Künstlers auf dem Boden vor dem Eingang der Schule gemalt war. Eine Spur! Im Schulgebäude teilte sich tatsächlich der Weg hin zu einer Treppe ins Museum und hin zur Schule selber. Wie befürchtet war der Weg zum Museum jedoch durch ein Hinweisschild versperrt, dass uns über die Schließung der Galerie wegen des Coronaviruses informierte. Ohne große Hoffnung verließen wir das Gebäude wieder, gingen ein Stück am Hafenbecken entlang zu einem großen Glasgebäude mit Dachterasse, das die Fundación Proa beherbergt, ebenfalls eine Kunstgalerie. Hier wurden wir davon überrascht, dass zumindest das Café auf der Dachterasse auf hat, wenn schon nicht die Galerie selber aus bekannten Gründen.

 

So bestellte ich mir eine Limonade und Franzi ein Heißgetränk und wir genossen etwas den Blick aus den großen Glasfenstern und sprachen vor allem über den weiteren Verlauf unserer Reise. Alle Museen haben bereits geschlossen und die Bundesregierung arbeitet an einem Rückholprogramm für gestrandete Bundesbürger. Vieles deutete darauf hin, dass es sinnvoll ist die Reise hier zu unterbrechen und weiterzureisen, wenn dies wieder einfach möglich ist. Allerdings wäre ein Rückflug nach Deutschland schon ein sehr bitterer Rückschlag für unsere Weltreisepläne. Franzi wollte darüber hinaus auch endlich weg aus Buenos Aires da wir nun schon seit knapp zwei Wochen hier waren und wir vor dem tiefen Winter ins kalte Patagonien wollen. Da die Überlegungen nun konkreter und krasser wurden, beschlossen wir uns ein paar andere Meinungen einzuholen und verlagerten unseren Sitzplatz auf die nun etwas schattigere Dachterasse, die aber noch WLAN Empfang hatte. Ich telefonierte mit Olli und schrieb mit meiner Familie und Franzi rief ihre Familie an und so redeten wir gut eine Stunde über die Möglichkeiten und was wohl der beste Weg sei. Es war erst nachmittags also noch kein Grund sich über hereinziehende Dunkelheit in La Boca Sorgen zu machen und auch kein Grund sich zu beeilen, da sowieso alles geschlossen hatte, was wir sehen wollten. Wir bestellten noch eine Limonade und tauschten noch etwas Erfahrungen von unseren Deutschland WhattsApp Anrufen aus. Zu einem finalen Ergebnis sind wir nicht gekommen, aber wir wollten sicher stellen, dass wir in der Krisenversorgungsliste des Auswärtigen Amtes registriert sind und so nicht verpassen wenn der vermeintlich letzte Flieger uns in die Heimat bringen könnte.

 

Nach dieser etwas anderen Tagesgestaltung als geplant, gingen wir noch zurück auf den Platz vor der Fundación Proa und entdeckten nun den Caminito- einen kleinen, schlangenförmigen Weg durch das Viertel. Hier stehen die bekannten Wellblechbauten in bunten Farben und Tonskulpturen, die an vergangene Tage erinnerten. Ein Bild stellte das Kehrwieder auf Spanisch dar und erinnerte mich so an die HafenCity in Hamburg. Bevor wir weitere Kunstwerke betrachten konnten, wurden wir aber von einer Frau angesprochen, die ihr dutzend Hunde eng angebunden in der Sonne stehen hatte, ob wir denn nicht für ein Foto mit den Hunden etwas zahlen mögen. Wir lehnten die penetrante Frau ab, hätten ihr jedoch auch noch sagen sollen, dass die Hunde unter ihr sehr leiden. Stattdessen zogen wir einige Blocks weiter durch La Boca bis sich eine große gelb-blaue Wand vor uns erhob- die Südtribüne von La Bombonera- der Pralinenschachtel. In diesem Stadion mitten im Wohnviertel waren nur sieben Tage zuvor die Boca Juniors, eines der beiden besten Teams Argentiniens, zuhause Meister geworden. Nun stand das Stadion still und auf der einen Seite war auch wenig Betrieb um das Stadion herum. In der Straße Brandsen jedoch tummelten sich die Touristen vor einigen Fanshops. Wir versuchten es zunächst mit dem vereinseigenen Museum der Boca Juniors, das aber wie erwartet geschlossen war. Erstaunlicherweise liefen dennoch Leute im Museum herum, was mich bewog den Security Verantwortlichen zu fragen, wer denn das Museum besuchen könne. Er meinte als Vereinsmitglied kann man natürlich dennoch hinein, aber für andere Besucher sei das Museum wegen Corona gesperrt. Erst da verstanden wir, dass Boca Juniors Supporters natürlich immun sind gegen das Coronavirus. Und davon gibt es ja sehr viele. Mehr als doppelt so viele Mitglieder wie Plätze im Stadion hat der Verein und nur die Mitglieder haben Anspruch auf einen Platz in La Bombonera am Spieltag. Meistens wollen sie auch zu den Spielen und auf Grund der hohen touristischen Nachfrage bei den Dauerkartenbesitzern sind die Preise für Spiele für Touristen auf dem freien Markt ins Unermessliche gestiegen. Daher beließen wir es auch beim Besuch des Stadions an einem spielfreien Samstag. Da wir nun auch das dritte Museum des Tages nicht besuchen konnten, gingen wir noch in einen Fanshop vor dem neben den üblichen Verdächtigen auch einer meiner Lieblingsspieler der Vergangenheit stand. Juan Román Riquelme war während der WM 2006 Spielmacher der Argentinier, die erst im Elfmeterschießen an Deutschland im Viertelfinale scheiterten. Da ich damals gerade erst in der Anfangsphase meines Fußballkonsums war, hatte ich noch nicht besonders viele Spieler für mich entdeckt, aber Riquelmes Übersicht und Passsicherheit sollten Vorbilder für meine kläglichen Versuche auf dem Schulfußballplatz sein. 

 

Nachdem wir alles Blau-Gelbe von außen betrachtet hatten, fuhren wir wieder zurück zum Hostel und überlegten was es wohl heute zum Abendessen geben könnte. Ich hatte plötzlich einen Heißhunger auf Pizza und so überzeugte ich Franzi im gemeinsamen Wissen, dass die Idee ebenso schlau ist wie ein zweiter Döner nachts um 2 Uhr im angetrunkenen Zustand, davon noch einmal zu Pizza Güerrín zu gehen, dem Pizzaladen, zum dem uns schon Charlie und Dome im Januar eingeladen hatten und bei dem wir als Käseliebhaber an zu viel Käse verzweifelt waren. Franzi meinte auch, dass es dumm sei, aber ich hatte so sehr Lust, dass sie einwilligte. Jeder bestellte diesmal eine kleine Pizzahälfte und wir schafften fast alles aufzuessen. Dumm war nur eine Hälfte neben den Unmengen an Mozzarella noch mit Ricotta belegen zu lassen. Die Hälfte mit Meeresfrüchten war wesentlich wohltuender, wenn natürlich auch zu käsig. Danach entstand natürlich ein leicht reudiges Gefühl und sobald werden wir hier auch nicht wieder herkommen, aber manchmal muss man diesen Instinkten dann doch nachgehen. Zum Verdauen machten wir es uns auf der Dachterrasse gemütlich und genossen diesmal zusammen den Sonnenuntergang.

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