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Santiago, die Erste

Santiago de Chile

geschrieben von Timo

Eigentlich wollte ich Santiago de Chile komplett auf der Reise überspringen, da ich bisher nur von Problemen mit Kriminalität in der Stadt gehört hatte von anderen Chilenen, die wir auf der Reise getroffen haben (fast die Hälfte aller Chilenen wohnt in Santiago) und nichts bis wenig positives über die Stadt gehört habe. Zumindest gibt es nicht so ein richtiges, touristisches Highlight, dass ich nicht verpassen möchte. Jetzt begibt es sich aber wohl so, dass ich sogar viermal nach Santiago reisen werde auf diesem Trip, da es einfach ein zentraler Knotenpunkt in der Region ist und- ich muss es zugeben- uns unser Gastgeber Victor, der in seinen Rentenjahren die Wohnung seiner Mutter im Zentrum von Santiago gegenüber vom Gründungsort der Stadt Santa Lucia mit riesiger Dachterrasse zu einer Unterkunft für zwei andere Pärchen und ihn und seine Freundin ausgebaut hat, überzeugt hat, dass es doch einiges in dieser Stadt zu sehen gibt- wenn auch wenig aktuelle Kultur wie wir u.a. in einem dreistündigen Gespräch zu unserer Begrüßung feststellten. Jetzt sitze ich hier morgen im 8ten Stock gegenüber vom schön angelegten Park mit Brunnen Santa Lucia mit der Avenida O´Higgins, benannt nach dem ersten Präsidenten des Landes (selber Straßenname wie in jeder Chilenischen Ansiedlung) unter mir auf der der Verkehr rauscht und fühle mich damit eigentlich ziemlich wohl. Nicht so wohl habe ich mich gefühlt, als wir gestern nochmal viel Bargeld für die Osterinsel holen waren, direkt nachdem Victor uns über die vielen Diebstähle in der Stadt gebrieft hatte und wir durch die Innenstadt einen dicken Batzen Geld (natürlich diskret) transportieren mussten. Franzi fand es wie immer nicht so schlimm, mir ist das sehr unangenehm bzw. Ich bin dann sehr angespannt vermutlich schon so angespannt, dass es nicht mehr hilfreich ist, sondern eher unhilfreich, um das Geld sicher ans Ziel zu transportieren. Umso glücklicher bin ich dann, wenn wir im abschließbaren Zimmer sind und das Geld sicher im Packsafe- dem mobilen Tresor, den wir dabei haben, eingeschlossen hab. Morgen gegen 5 Uhr müssen wir uns dann ein Uber zum Airport rufen und Victor, der wirklich ein hervorragender Gastgeber ist, steht dann extra mit uns auf damit wir die Wartezeit am Straßenrand gut überstehen und nicht eine ungelegene Gestalt uns unser Gepäck streitig macht oder ähnliches. Es ist die Nacht von Samstag auf Sonntag und vermutlich werden einige Betrunkene an uns vorbei laufen in der tagsüber belebten Fußgängergasse. Nichts desto trotz hätte ich mir den kurzen 2 Minuten Weg zum Uber auch mit Franzi zugetraut, freue mich aber natürlich auch über die Unterstützung. In dem langen Gespräch mit Victor, der 45 Jahre in Brasilien lebte und erst kürzlich nach der Trennung von seiner Brasilianischen Frau zurück in seine Heimat zog, ging es natürlich auch um Politik. Das stellte sich wiedermal als sehr interessant heraus. Auch wenn Victor kein Brasilianer ist, so hat er natürlich dennoch eine klare Meinung über Brasilianische Politik, da er lange dort wohnte und dort einen 30- Menschen Betrieb in der Textilbranche unterhielt. Er erzählte uns, dass er politisch mitte-links ausgerichtet sei und in Chile den neuen Präsidenten Boric mitgewählt hatte, auch wenn im in seinem Alter von an die 70 Jahre nicht mehr daran glaubt, dass man wirklich erfolgreich von den Reichen nehmen kann und den Armen geben kann, wie es wohl die Absicht von Boric ist, den Victor als kommunistisch beschrieb. Dementsprechend erwarteten wir, dass Victor klar pro Lula in Brasilien war, was sich allerdings zu unserer Überraschung als falsch herausstellte. Nicht nur dass er Lula der Wahlfälschung bezichtigte und meinte, dass er das wissen müsste, da er Brasilianische Freunde hat und wir es nur in den gefärbten Nachrichten gelesen haben, sondern auch noch seine Prognose, dass die Wirtschaft steil bergab gehen würde unter Lula und final kam es sogar noch zu einem Hitlervergleich mit Lula, wobei ich nicht mehr genau weiß worauf sich der bezog. Eine derart starke Abneigung hätte ich nicht erwartet. Immerhin gab es auch keine aktive Gutheißung von Bolsonaro, Victor meinte nur dass es wichtig sein, dass die Wirtschaft nicht abstürzt und die Inflation gering gehalten wird, was er wohl Bolsonaro indirekt als Kompliment andichtete. Vielleicht wollen wir das Gespräch, das wir übrigens komplett und Spanisch führten-  mit Victor, mit dem wir das Gefühl haben, dass man darüber sprechen kann ohne dass es zu emotional aufgeladen ist und der bei seinem Spanisch einen erkennbaren, Portugiesischen Akzent hat, heute nochmal fortsetzen, wenn wir uns auf unsere Osterinselreise vorbereiten. Abgesehen von der Befürchtung, dass er Bolsonaro Fan sei, die sich nicht wirklich bestätigt hat, war wir uns nämlich die ganze Zeit sehr sympathisch- er hat uns nachdem wir mit dem Nachtbus aus Pucón angekommen waren sogar proaktiv Müsli mit Erd- und Blaubeeren angeboten, obwohl ein Frühstück in seiner Unterkunft gar nicht inklusive ist.  

 

Wenn wir Freitag aus dem Pazifik zurückkehren, ist seine Unterkunft leider schon ausgebucht, daher werden wir wohl woanders unterkommen müssen. Danach kehren wir aber nochmal aus Valparaíso und aus Rancagua nach Santiago zurück, bevor es weiter nach Mendoza, Argentinien gehen wird über die höchsten Berge der westlichen Hemisphäre, die man von unserer Terrasse aus schon sehen kann. Es bleiben also noch Gelegenheiten sich ein bisschen weiter zu unterhalten. Die Unterkunft lädt auf jeden Fall dazu ein doch länger in Santiago zu bleiben und es nicht zu überspringen, wie ich ursprünglich dachte. 

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