· 

Ambivalente Hafenstadt

Valparaíso

geschrieben von Timo

Die letzten Tage haben wir in Valparaíso verbracht und wenn wir nicht gerade in die Heimat telefoniert haben oder Franzi mit starken Magen- Darm Problemen im Bett lag, dann haben wir uns die markante Hafenstadt bei schönem Herbstwetter (in Hamburg wäre es auch schönes Sommerwetter gewesen) angeschaut. Angenehm war dass die Stadt direkt am Ozean liegt und statt 35°C und wolkenloser Himmel wie in Santiago eher 20°C und wolkenloser Himmel herrschte. Es gab auch etwas weniger Smog als in Santiago, was aber auch nicht schwer ist.  

 

Grundsätzlich mag ich als Hamburger natürlich Hafenstädte und wenn die Hafenstadt dann sogar zum Teil noch Welterbe ist, dann finde ich sie natürlich besonders spannend. Ich kann allerdings vorwegnehmen, dass ich das Welterbe der UNESCO in Valparaíso eher schwierig finde, da es die alten Hafenstadtteile und den Hafen betrifft und sich auf die goldene Ära Valparaísos bezieht vor dem starken Erdbeben Anfang des 20. Jahrhunderts und vor der Eröffnung des Panama Kanals 1914, der die Stadt vergleichsweise bedeutungslos werden ließ. Vorher versorgte Valparaíso u.a. Kalifornien mit Ressources während des Goldrausches. Heute sind die damals reichen, prächtigen Häuser in El Plan (dt.: Das Flache) eher verfallen und teilweise richtige Armenviertel jedoch gleichzeitig Welterbe. Andere Viertel wie die Hügel Concepción und Alegre sind schicke, touristische Viertel mit vielen Restaurants sowie Kusthandwerk und natürlich viel Streetart im Sinne von Wandgemälden und stehen von ihrem Erscheinungsbild so stark im Kontrast zum Hafenviertel.  

 

Wandgemälde und Hügel sind auch die zwei prägenden Begriffe für das Erscheinungsbild Valparaísos heutzutage. Teile des flachen Stadtteils El Plan wurden künstlich dem Meer abgerungen wie es auch in den Niederlanden praktiziert wird. Direkt hinter El Plan, das einmal halbkreisförmig entlang der Bucht führt, führen überall steile Hügel bergauf. Deswegen gibt es in der Stadt auch viele, ikonische Standseilbahnen, bei denen ein Wägelchen nach oben gezogen wird, während das Gegenteilige bergab führt. Von diesen zahlreichen Funikularen sind allerdings kaum noch welche im Betrieb, auch weil die Instandhaltung dieser einmaligen Gefährte schwierig ist. Z.B. das Thema Ersatzteile. Die Erfahrung ist aber trotzdem cool einmal mit einer urigen Standseilbahn von über 100 Jahren Alter oder einem öffentlichen Fahrstuhl für etwas mehr als 100 Pesos (15 Cent) gefahren zu sein. Alternativ kann man welche der vielen Treppen nehmen, was sich alleine deshalb lohnt, da meisten Künstler an den senkrechten Teilen der Stufen Gemälde geschaffen haben, die erst beim zusammenhängenden Blick auf alle Stufen der Treppen Sinn ergeben. Darüber hinaus sind üblicherweise die Wände neben der Treppe auch vollgesprayt mit spannenden und schönen Wandgemälden. Die Straßenkunst ist eigentlich illegal, nach der Diktatur aber so beliebt geworden, dass inzwischen Hausbesitzer sogar Künstler bitten ihr Haus mit etwas Hübschem zu bemahlen, da es sonst vollgeschmiert (getagt) wird von anderen Leuten, die nur "schmieren" wollen. Normalerweise wird auf Grund von Respekt ein Wandgemälde nicht übergeschmiert, was den Vorteil für den Hausbesitzer hat, dass das Haus hübsch ist und für den Künstler, dass er oder sie legal seine oder ihre Kunst ausleben darf. An einem riesigen Hochhaus ist das größte Wandgemälde Valparaísos zu sehen, welches auf Grund der Anerkennung dieser Art von Kunst sogar von der Lokalregierung mitfinanziert wurde. Man kann wirklich in ganz Valparaíso an jeder Decke Streetart entdecken, wobei gewisse Bereiche besonders dafür gekennzeichnet sind.  

 

WIr haben zwei empfehlenwerte trinkgeldbasierte Free Walking Tours mit dem Anbieter Tours4Tips gemacht, die uns in jeweils 3 Stunden die interessanten Teile der Stadt gezeigt haben. Auf der Plaza Echaurren im armen Barrio Puerto wurden wir wirklich von mehreren Passanten angesprochen, dass wir hier lieber nicht sein sollten. Die Guides meinten, dass die Hauptmotivation dieser Leute sei, dass ihnen das Erscheinungsbild ihres eigenen Viertels unangenehm sei. In einem anderen der ärmeren Viertel, die aus bunten Häusern am Hang bestehen, mahnte uns auch ein Anwohner zur Vorsicht. Wir waren immer sehr aufmerksam und nichts ist passiert, aber einmal haben wir gesehen wie ein junger Mann mit dem Rucksack eines anderen jungen, nicht touristisch aussehenden Mannes wegrannte.  

 

Unsere Guides waren offensichtlich politisch eher links orientiert, was sie uns sehr sympathisch machte. So konnten wir auch in der Straßenkunst viele politische Botschaften und auch Realitäten kennen lernen und sie auch nachvollziehen. Zum Beispiel dass das Preis Niveau in Chile zwar so hoch wie in Deutschland ist, aber Gehälter und v.a. auch Renten bei weitem nicht an das Deutsche Niveau heranreichen. Weitere Kritikpunkte der Linken sind die mangelnde Aufarbeitung und Bildung über die Militärdiktatur von Pinochet zwischen 1973 und 1990, die mit dem Putsch in Valparaíso und später an einem Herbsttag 1973 in Santiago begann sowie die Unterdrückung und teilweise Ausrottung der Ureinwohner. All diese Themen sind u.a. in einem Guernica- gleichen, riesigen und extrem detailliertem Wandgemälde auf dem Cerro Alegre abgebildet. Man kann schon verstehen warum junge, engagierte Menschen dieses St. Pauli bzw diese Schanze Chile's lieben.  

 

LIeben tat Valparaíso auch der Poet und Diplomat Pablo Neruda dessen Haus La Sebastiana wir in der Avenida Alemania auf dem Hügel Bellavista besuchten und von dem aus man tatsächlich die schöne Sicht auf den Hafen und die Bucht hat, die der Name verspricht. Neruda scheint ein echter Lebemann gewesen zu sein und hat sein Haus voller Karten, exotischer Einrichtungsgegenstände aus aller Welt und Fenster für den weiten Blick bauen lassen. Es erinnerte etwas an das Künstlerhaus in Punta Ballena namens Casapueblo, das sich auch einen Hügel hoch erstreckte und genauso wie La Sebastiana sehr verwinkelt war. Auch die Bar und die Info der vielen gemeinsamen Mittag- und Abendessen mit Freunden untermauerten das Lebemann Image Nerudas. Ich habe keins seiner Gedichte oder Bücher gelesen, finde es jetzt aber ganz spannend mich mal damit zu beschäftigen. Er wird den Literaturnobelpreis sicherlich nicht umsonst bekommen haben.  

 

Wer jetzt findet, dass meine Beschreibungen von Valparaíso sehr harmonisch klingen und sich die Stadt wunderschön vorstellt, möge der Vorstellung jetzt bitte viele streunende Hunde, entsprechend viele Haufen mit Gestank, der sich mit dem menschlichen Gestank nach Pisse vermischt, hinzufügen sowie einen wilden Autoverkehr, wuselige Bürgersteige mit eher armen Menschen sowie viel Müll. Die Stadt könnte extrem schön sein, wäre sie nicht so dreckig und eklig, aber das gehört nunmal zur Wahrheit dazu. Die Busfahrer werden übrigens je nach Anzahl beförderter Fahrgäste bezahlt, so dass alle Busse extrem durch die Stadt heizen, damit die Fahrer finanziell halbwegs über die Runden kommen. Das sorgt nicht nur für einen gefährlichen Verkehr für alle, sondern auch für sehr viel Lärm, der in der Stadt auch omnipräsent.  

 

Es gibt aber schon einige Oasen der Ruhe, Reinlichkeit und schönen Aussicht in Restaurants, Cafés oder z.B. im nationalen Marinemuseum, das allerdings viel zu nationalistisch an Chiles Historie erinnert. Am Eingang wird man schön aufgefordert (also jeder Besucher auch wir, wenngleich auch nur auf einem Schild) an Ikonen wie Arturo Prat zu erinnern und jeden Tag so viel für das Mutterland zu geben, wie dieser Held, der in der Seeschlacht von Iquique 1879 gegen Peru fiel und so erst den späteren Kriegsbeginn ermöglichte, der dafür sorgte, dass Chiles nördlichste zwei Regionen heute zu Chile und nicht zu Bolivien bzw. Peru gehören.  

 

Um die Stadt zu erkunden reichen eigentlich auch 2 bis 3 volle Tage aus, aber durch Krankheit und Telefonieren waren 5 Tage genau richtig. Das einzige was ich finde, was wir noch mehr hätten machen können, ist ins Nachtleben abzutauchen, was hier sicher sehr gut geht. Da wir das in Patagonien aber eigentlich garnicht gemacht haben bzw. machen konnten und auch sonst nicht so die Feierbiester sind, sind wir damit in Valparaíso nicht in Kontakt gekommen.  

Kommentar schreiben

Kommentare: 0